Und jetzt stell dir vor, dass diese Blume das einzige ist, was ich dir geben kann. Dass sie alles ist, was ich dir geben kann. Dass es alles ist, was dir von mir bleibt. Was würdest du tun? Stell dir vor, dass diese kleine Blüte dir Wärme gibt. Bei dir ist, wenn du dich einsam fühlst. Dein Umfeld mit Schönheit, Begeisterung und lebendiger Farbe füllt. Die Leere in deinem Sichtfeld füllt.
Und deine Aufgabe ist es, aufzupassen, dass deine Blume nicht vor Einsamkeit verdurstet und austrocknet. Oder nicht in deiner Welt ertrinkt, wenn du sie gießt. Sie braucht einen Platz in deinem Herzen, wo sie ihre Wurzeln schlagen kann und sich ausbreiten kann. Sie braucht frische Erde, damit sich ihre Blüten immer für dich in ihren schönsten Farben entfalten können. Sie braucht einen Schutz vor Wind und Wetter, damit ihr fragiler Stiel nicht zerbricht. Du darfst diese Blume nicht auskühlen lassen, sie braucht deine Herzenswärme, um zu leben. Wenn du sie alleine lässt, in der kalten Winterlandschaft deiner Seele, wird sie einfrieren. Ihre Blüten werden nicht mehr für dich leuchten. Sie wird eiskalt. Sie wird dich nicht mehr brauchen. Sie kann dann nicht mehr atmen. Sie wird zur Winterblume. Sie wird still und stumm in deiner endlosen, eisigen Landschaft stehen. Eingefroren, verlassen, einsam und doch wunderschön, unvergesslich. Du wirst dich immer an sie und an die Zeit, die du mit ihr verbracht hast, erinnern. Und dir wird warm ums Herz. Weil dir klar wird, dass die Blume immer loyal war. Dass sie dich sah. Sie fühlte dich. Sie war für dich da. Du wirst aber meine Blume nirgends mehr vorfinden, auch wenn du das Eis zu zerbrechen versuchst. Dein Winter hat sie verschlungen und verwandelte sie in eine Winterblume. In dieser imaginären Welt, welche ich hier, in diesem Brief, erschaffen habe, lebt die Winterblume nur in deiner Erinnerung. Sie fand sonst keinen Platz in deiner Welt.
Kannst du dir vorstellen, dich um diese Gabe zu kümmern und zu sorgen?
Jetzt darfst du wieder zu dir zurückkehren und von der Reise in die tiefe Winterwelt aufwachen. Und wenn du meinen Brief bis hierhin gelesen hast, dann habe ich auch dir meine Blume geschenkt.
Die Weihnachtszeit ist eine Zeit der Besinnung, Zeit der Dankbarkeit, Zeit der Vergebung und Zeit der inneren Ruhe. Auch wenn du, vermutlich, von einem Laden zum nächsten hetzt, versuchst, nichts zu vergessen oder deinen Alltag meisterst - es ist die Zeit, wo du zur Ruhe kommen solltest. Wo du dankbar für das sein solltest, was du hast und was du erreicht hast. Wo du deine Liebsten noch mehr zu schätzen weißt, weil sie jederzeit für dich da waren, weil sie dir ihre Blumen schenken.
Und auch ich, versprochen, werde mit deiner Blume mit viel Sorgfalt umgehen. Manchmal vergesse auch ich im Alltagstrubel, welch eine Verantwortung ich bei mir trage. Deine Blume ist immer bei mir und ich werde mir Mühe geben, dass sie nicht zur Winterblume wird. Danke für deine Geduld. Für deine Zeit. Für deine Worte. Deinen Zuspruch. Deine Wärme. Deine Freundschaft. Deine Liebe. Deine Zuwendung.
Ich wünsche dir wundervolle Weihnachtszeit mit deinen schönsten Blumen. Jetzt, genau jetzt ist die Zeit, um dich bei deinen Blumen zu bedanken, weil sie bei dir sind.
Deine L.
An was denkst du, wenn ich dir sage, dass ich dir dieses Weihnachten von einer "Winterblume" erzähle? An eine eingefrorene, kaputte Pflanze? An eine Blume, die aussieht wie aus Eis geschnitzt in einer wunderbaren Phantasie-Winterwelt? Oder fragst du dich eher, was das für eine Blume denn sein kann, welche Mitten im Winter zu blühen vermag? Das werde ich dir gleich verraten.
Ich habe lange überlegt, was ich dir dieses Weihnachten sagen soll. Meine Gedanken waren stumm, so stumm, wie gefühlt nie zuvor. Dann kam ein Gedanke nach dem anderen, wie ein Blitz am hellsten Tag. Als ich ein Lied hörte. Oder als ich ein Buch las. Oder als ich Auto fuhr. Nach und nach füllte sich die Leere mit einzelnen, kleinen Fragmenten aus Ideen, Gedanken, Inspiration. Was mich letzten Endes zu genau dieser Geschichte inspiriert hat, kann ich dir immer noch nicht genau erklären. Aber damit ich weiter machen kann, möchte ich, dass du für einige Augenblicke vergisst, wer du bist. Oder warum du das hier liest. Oder wer ich bin. Vergiss alles um dich herum und benutze nur deine Augen und die Impulse, die sie in dein Gehirn senden, um dich vollkommen auf meine Zeilen einzulassen.
Stell dir vor, dass ich dir eine Blume an Weihnachten schenke. Eine einzelne, kleine, zerbrechliche Blume. Du kannst dir ihre Farbe selbst aussuchen. Und die Form ihrer kleinen Blütenblätter. Lass dir ihren erfrischenden, süßen Duft durch die Gedanken gehen.